Mittwoch, den 10.4.2013
KO2-F-150 |
Prof. Dr. H. Versnel (Leiden)
Gespaltene Persönlichkeiten: Das Problem der Multiperspektivität griechischer Götter
Im kürzlich erschienen Buch „Coping with the Gods“ (2011) argumentiere ich dafür, dass die antiken Griechen eine beunruhigende Fähigkeit zeigten, zwei (oder mehr) von-einander abweichende, wenn nicht widersprüchliche, Darstellungen der göttlichen Welt in einer sich eher ergänzenden als gegenseitig ausschliessenden Weise zu würdigen. Es sind gerade die in unseren Augen inkonsistenten literarischen Zeugnisse, welche der moderne Leser als unerträglich erfährt. Um unsere antiken Autoren zu ‚retten‘, „scheint die akademische Überzeugung nahezu unvermeidbar zu sein, dass diese Widersprüche aufgelöst werden müssen – koste es, was es wolle“ (Q. Skinner). In meinem Buch zeige ich, dass durch unser ‚Bestreben nach Kohärenz‘ die antiken Autoren unbewusst für unser modernes Paradigma in Anspruch genommen und von sich selbst entfremdet werden.
In meinem Vortrag werde ich versuchen, dies anhand von zwei grossen theologischen Problemen aufzuzeigen: Sind ‚die Götter‘ gerecht oder willkürlich? Sind individuelle Götter mächtig oder allmächtig? In beiden Fällen wird gezeigt, dass griechische Götter beides sind, jedoch nie zur gleichen Zeit und nie in der gleichen Situation. Griechische Götter leiden an Multiperspektivität und ‚Überkontextualität‘, und für das bessere Verständnis unserer Quellen ist es entscheidend, sich dessen immer bewusst zu sein.
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