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In den Jahren um 1170/80 verfasste Walter von Châtillon ein 5'507 Hexameter umfassendes Epos über Alexander den Grossen, das in der Folge rasche Verbreitung als Schullektüre fand. Noch heute sind mindestens 193 Handschriften (45 davon unvollständig) und 24 Exzerpte dieser "Alexandreis" erhalten, die neben dem eigentlichen Text häufig mehr oder weniger ausführliche Erklärungen auf den Seitenrändern oder zwischen den Zeilen bieten. Diese Erklärungen erlauben Rückschlüsse darauf, wie der Text von den Zeitgenossen rezipiert wurde. Die Schreiber übernahmen sie teilweise aus Vorlagen, teilweise kürzten oder ergänzten sie das Vorgefundene gemäss ihren eigenen Interessen oder den Kenntnissen ihrer Schüler. Dabei griffen viele von ihnen direkt oder indirekt auf den Kommentar eines gewissen Gottfried von Vitry zurück.
Dieses Werk lässt sich wegen der vielen Eingriffe in den Text nicht zweifelsfrei wieder herstellen: Es ist jedoch ein Kernbestand von Erläuterungen erkennbar, die auf Gottfried selbst zurückgehen dürften. Sie lösen nicht nur sprachlich schwierige Formulierungen für die Schüler auf, sondern analysieren auch die poetischen Techniken des Autors, wobei sie bis zu einer psychologischen Textinterpretation gehen. Darüber hinaus bieten sie Hintergrundinformationen zu dem Bildungsgut, auf das in der Alexandreis angespielt wird, und weisen auf literarische Vorbilder hin.
Ziel des Dissertationsprojektes war es, den Kommentar Gottfrieds von Vitry in seiner verbreitetsten Fassung zu edieren und zu analysieren. Dabei sollten der intellektuelle Hintergrund ihres Urhebers, seine Quellen sowie seine didaktischen Techniken und Ziele untersucht werden. Ausserdem wurde das Verhältnis der hier berücksichtigten Kommentarfassung zu anderen kommentierten Alexandreishandschriften beleuchtet und eine Perspektive auf die zeitgenössische Lektüre dieses Werkes eröffnet.
Die Arbeit ist erschienen als: Führer, Dörthe, Der «Alexandreis»-Kommentar Gaufrids von Vitry: Überlieferung – Fassungen – Inhalte, Bern et al. 2023. (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 54).